This article deals with one of six key-words of our current society that will be shortly discussed: Everyday Life – Alltag
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ALLTAG
Der Alltag und seine Bedeutung
Wer sich mit Alltag beschäftigt stößt früher oder später auf die Theorien des Soziologen Alfred Schütz zur alltäglichen Lebenswelt. Besonders Schütz´ Lebensweltbegriff ist zentral für die Auseinandersetzung mit Alltag. Die Grundlage für seine Überlegungen stellen die phänomenologischen Betrachtungen seines Lehrers Edmund Husserl zur Lebenswelt dar: Den Terminus Lebenswelt expliziert der Philosoph Husserl in seinem Werk Die Krisis der Europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Er beschreibt diese als eine vorgegebene,
„praktische Welt […], in der wir gemeinsam leben.“
Sie ist die konkrete Erfahrungswelt, in die wir Menschen hinein geboren werden, die wir gestalten und die wir uns subjektiv aneignen. Die Lebenswelt ist
„die einzig wirkliche, die wirklich wahrnehmungsmäßige gegebene, die je erfahrene und erfahrbare Welt.“
Husserls Gebrauch der Lebenswelt scheint sich allerdings zeitweise zu widersprechen. Es kann von einer engeren und einer weiteren Auffassung des Begriffs ausgegangen werden, die einander ergänzen: Erstere begreift die Lebenswelt als „Anschauungsboden“, letztere als „konkrete Universalität“. Das bedeutet, die Lebenswelt stellt im engeren Sinn das Fundament der Wissenschaften dar, die im weiteren Sinne ein Bestandteil dieser Lebenswelt sind.
Zugegeben: Husserls Begriff der Lebenswelt mutet recht abstrakt an, er soll hier auch nicht weiter verfolgt werden. Die Bedeutung von Husserls Gedanken liegt in deren Fortsetzung durch seinen Schüler Alfred Schütz: In Strukturen der Lebenswelt macht Schütz den Begriff der Lebenswelt für die Kultur- und Sozialwissenschaften nutzbar:
Schütz zufolge gibt es eine Wirklichkeit, die dem Menschen selbstverständlich ist, er nennt sie die alltägliche Lebenswelt.
„Sie ist der Wirklichkeitsbereich, an der der Mensch in unausweichlicher, regelmäßiger Wiederkehr teilnimmt.“
Die alltägliche Lebenswelt eröffnet uns Menschen Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Gestaltung, gleichzeitig wird unsere Handlungsfreiheit durch die anderen Menschen und verschiedene Umstände eingeschränkt. Nur in der alltäglichen Lebenswelt ist Kommunikation zwischen den Menschen möglich. Schütz bezeichnet sie als die „vornehmliche und ausgezeichnete Wirklichkeit des Menschen.“ Er schreibt:
„Unter alltäglicher Lebenswelt soll jener Wirklichkeitsbereich verstanden werden, den der wache und normale Erwachsene in der Einstellung des gesunden Menschenverstandes als schlicht gegeben vorfindet.“
Interessant ist Schütz’Feststellung, dass uns die Wirklichkeit, in der wir vordergründig leben, selbstverständlich ist, und dass diese von unausweichlicher, regelmäßiger Wiederkehr bestimmt ist. Das bedeutet, wir können uns relativ problemlos in dieser Wirklichkeit bewegen und werden nicht ständig vor schwierige Entscheidungen gestellt. Dies rührt vordergründig von der Routinehaftigkeit und Gleichmäßigkeit der alltäglichen Welt her.
Schütz bewertet die alltägliche Lebenswelt nicht, doch klingen hier bereits die zwei Seiten des Alltags an, die der Volkskundler Hermann Bausinger explizit ausführt: Einerseits ein Alltag, der in seiner Selbstverständlichkeit als Entlastungsmedium fungiert; andererseits ein Alltag, der durch seine Routinehaftigkeit als banal und langweilig empfunden wird.
Schütz weist weiters darauf hin, dass es nicht nur die eine, alltägliche Wirklichkeit gibt, sondern „multiple realities“, die er als Sinnprovinzen bezeichnet. Dies können beispielsweise Fantasiewelten sein, Schlaf und Traum, aber auch Drogenerfahrungen und Wahnwelten. Der Soziologe zeigt auf, dass es für uns Menschen die Möglichkeit gibt, aus der alltäglichen Lebenswelt in eine andere Wirklichkeit einzutauchen.
Schütz geht es aber nicht um die konkrete Lebenswelt einzelner Menschen. Er befasst sich ausschließlich mit den allgemeinen Strukturen unseres Denkens und Handelns. Die Frage wird nicht aufgeworfen, was denn die alltägliche Lebenswelt für den einzelnen Menschen bedeutet und wie er sich damit zurechtfindet.
In dieser Tradition verbleiben auch die beiden Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann in ihren Untersuchungen zur Alltagswelt. In ihrem Werk Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit nehmen sie Schütz’ Gedanken der mannigfachen Wirklichkeiten auf. Ähnlich dem Soziologen ziehen die beiden Autoren den Schluss, die Welt konstituiere sich aus verschiedenen Wirklichkeiten, wobei die Alltagswelt die grundlegenste sei:
„Verglichen mit der Wirklichkeit der Alltagswelt erscheinen andere Wirklichkeiten als umgrenzte Sinnprovinzen, als Enklaven in der obersten Wirklichkeit.“
Berger und Luckmann erstellen eine Hierarchie, indem sie die Alltagswelt der „obersten Wirklichkeit“ zuordnen. Die Alltagswelt stellt den Bezugspunkt dar, zu dem wir immer wieder zurückkehren. Sie ist die vorherrschende Wirklichkeit, wobei es bezeichnend für die anderen ist, dass sie von der Alltagswelt ablenken. Zur Veranschaulichung ihrer Gedanken ziehen die Autoren das Theater als Metapher heran. Sie beschreiben dieses als eine Welt mit eigenen Gesetzen und eigener Sinneinheit. Das Auf- und Zugehen des Vorhangs offenbare den Übertritt von einer Wirklichkeit in die andere.
Der Wert von Bergers und Luckmanns Überlegungen liegt vor allem auch in ihrer Erkenntnis, dass die Alltagswelt für uns Menschen nicht notwendigerweise die bevorzugte Wirklichkeit darstellt. Andere Wirklichkeiten neben dem Alltag erlauben uns Menschen aus der Alltagswelt zu fliehen – seien sie dieser auch untergeordnet.
Nicht Strukturen, sondern den einzelnen Menschen nimmt der Volkskundler Hermann Bausinger in seiner Auseinandersetzung mit Alltag in den Blick. In Alltag und Utopie entwirft Bausinger eine Skizze, um diese beiden Termini näher zu bestimmen: Alltag charakterisiert er als „prägnant, trächtig“ und “mit verfließenden Rändern”. Er macht jedoch auch einen Kernbereich aus, der ihn zu folgender Beschreibung führt:
„Alltag ist danach der Raum, in dem wir uns unreflektiert bewegen, dessen Wege wir wie im Schlaf gehen, ohne Aufwand, dessen Bedeutungen und Konstellationen uns unmittelbar zugänglich sind, wo man tut, was man eben tut, wo das Handeln den Charakter des Natürlichen hat, wo wir die Vorstellung vom Sinn unseres Tuns selbstverständlich mit anderen teilen.“
Alltag bedeutet Bausinger zufolge Routine, er umfasst das „Eingespielte, Eingefahrene, seiner selbst Sichere.“ Bausinger stellt wie Schütz fest, dass der Alltag etwas Selbstverständliches sei, in dem wir Menschen uns problemlos und unreflektiert bewegen könnten. Alltag ist immer sowohl positiv als auch negativ behaftet: Negativ erfahren wir diesen oft in seiner Routinenhaftigkeit, seiner Wiederholbarkeit und Gleichmäßigkeit. Bausinger bezeichnet diese weniger geschätzte Seite als „Borniertheit“.
Der Volkskundler macht aber auch auf die positive Seite des Alltags aufmerksam. So kann der Alltag als “Entlastungsmedium“ fungieren, der uns Menschen durch seine Selbstverständlichkeit Sicherheit gibt.
Eine weitere beachtenswerte Sicht auf die Potentiale des Alltags eröffnet der Philosoph Ernst Bloch. Er entdeckt den Alltag als „Absprungbasis, als Reservoir vorwärtsweisender Momente“. Das Alltägliche ist dem Menschen nicht genug, es provoziert einen „Hunger“, der das „Körper-Ich“ dazu verleitet, eine Veränderung herbeizuführen. Bei Bloch ist der Alltag als solcher nicht positiv konnotiert wie bei Bausinger, denn Bloch vergleicht den Alltag mit „Quarkkäse“ und bezeichnet ihn als banal und kläglich. Doch der Philosoph verbleibt nicht in dieser einseitigen Betrachtung. Für ihn ist im Alltag selbst bereits die Möglichkeit zu dessen Überwindung angelegt, was ihn verheißungsvoll werden lässt. Bloch weist insofern auf einen Umstand hin, der im Bezug auf den Alltag allzu oft vergessen wird: Der Alltag kann das kreative Potential der Menschen zum Vorschein bringen.
Quellen
Bausinger, Hermann (Hg.)(1996): Alltag und Utopie IN: Alltagskultur im Umbruch. Weimar/Köln/Wien: Böhlau Verl.
Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1980): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. 5. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer.
Bloch, Ernst (1959): Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Husserl, Edmund (1996): Die Krisis der Europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Hamburg: Meiner Verl.
Lipp, Carola: Alltagskulturforschung im Grenzbereich von Volkskunde, Soziologie und Geschichte. IN: Zeitschrift für Volkskunde 89 (1993/1).